Ist Übergewicht genetisch oder entscheidet der Lebensstil?

Zuerst einige Zahlen: Weltweit sind mehr als eine Milliarde Menschen an Adipositas erkrankt¹. In Deutschland allein waren 2019 bereits 60 Prozent der erwachsenen Männer und 46,5 Prozent der erwachsenen Frauen übergewichtig². Vielfach hat die ganze Familie Adipositas³. In der Gesellschaft und in Teilen der Medizin wird Übergewicht derweil weiterhin häufig als selbst verschuldet betrachtet. Inzwischen wissen wir aber: Erbanlagen spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Übergewicht. Das geht unter anderem auf die Untersuchung des menschlichen Erbgutes durch Marburger Forschende zurück. Diese Forschung zeigt, dass die Gene zu rund 60 Prozent für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich sind. 

Im Rahmen ihrer Studie identifizierten die Forschenden ein Gen und seine Mutation, die eine wichtige Rolle beim Körpergewicht der untersuchten Patient:innen spielen. Die Rede ist vom MC4R-Gen, welches für die Bildung des Melanocortin-4-Rezeptors benötigt wird. Im Gehirn sorgt dieser Rezeptor für die Regulation des Körpergewichts – Betroffene haben mehr Hunger, während sie weniger Kalorien verbrennen. Zwei Prozent der Menschen mit schwerer Adipositas sollen eine Mutation dieses Gens aufweisen. 0,5 bis 5,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Adipositas weisen ebenfalls eine entsprechende Genmutation auf⁴. Wir zeigen in zwei Beiträgen, wie ​​Kinder mit Adipositas und ​Jugendlichen mit Übergewicht unterstützt werden können.

Ja, neben der bereits erwähnten Untersuchung gibt es eine weitere Forschung, die belegt, dass Fettleibigkeit vererbbar ist. Zwillingsstudien zeigen, dass das Körpergewicht zu 60 bis 80 Prozent erblich bedingt ist⁵. So ähneln adoptierte Zwillinge in Bezug auf den Body Mass Index (BMI) wesentlich häufiger ihren biologischen Eltern als den Adoptiveltern. Besonders beeindruckend sind Zwillingsstudien, bei denen eineiige Zwillinge getrennt voneinander aufwuchsen. Sie ähnelten sich gewichtsmäßig deutlich häufiger als zweieiige Zwillinge. 

Die Entwicklung von Übergewicht ist häufig durch eine genetische Prädisposition beeinflusst, wie die erwähnten Zwillings- und Familienstudien zeigen. So haben Kinder von Eltern mit Adipositas ein deutlich höheres Risiko, übergewichtig zu werden, selbst wenn sie in einer Umgebung aufwachsen, die einen gesunden Lebensstil unterstützt. Dieser Zusammenhang legt nahe, dass die Vererbung bestimmter genetischer Varianten das Risiko für Adipositas erhöhen kann. Sind wir unseren Genen hilflos ausgeliefert? Ganz so einfach ist es nicht.

Die unterschiedlichen Untersuchungen zeigen, dass sich das Abnehmen durch genetische Faktoren als schwierig erweisen kann. Aber trotz einer genetischen Veranlagung ist es möglich, ein gesünderes Leben zu führen und Gewicht zu verlieren. Das British Medical Journal zeigt dies im Rahmen einer Studie⁶. So deuten die Daten der Untersuchung darauf hin, dass eine ausgewogene Ernährungsweise und ein geändertes Essverhalten den Auswirkungen der genetischen Prädisposition entgegenwirken können. In diesem Zusammenhang haben wir häufige ​Abnehm-Fehler zusammengestellt, die sich hierbei zusätzlich berücksichtigen lassen. Das ergibt Sinn, da Übergewicht nicht auf einen einzelnen Faktor zurückgeht, sondern aus einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren entsteht. In einem eigenen Artikel beleuchten wir diese ​​Adipositas-Ursachen. 

Adipositas rein genetisch zu betrachten, wird der Erkrankung also nicht gerecht. Mehr als 700 bekannte Genvarianten können zu einer Gewichtszunahme beitragen. Jede für sich allerdings nur zu geringen Zunahmen von ein bis zwei Kilogramm⁷. Das bedeutet konkret, dass unsere Gene bei Weitem nicht alleine über unser Körpergewicht entscheiden. Mit individuellen Strategien kannst du dein Wohlbefinden steigern: 

1. Vorbeugung: Sollte Übergewicht in deiner Familie eine Rolle spielen, kannst du mit mehr Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung entgegenwirken, bevor es zu einer Adipositas kommt. 
2. Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann dich nicht nur beim Abnehmen unterstützen. Sie kann sich darüber hinaus positiv auf deinen allgemeinen Gesundheitszustand auswirken, deinen Stoffwechsel ankurbeln und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren. Dadurch können wiederum Kalorienverbrauch und Fettverbrennung gesteigert werden. 
3. Ernährungsumstellung: Eine ausgewogene Ernährung, die reich an Vollkornprodukten, Obst, Gemüse und Proteinen ist, kann dir dabei helfen, gesünder zu leben. 
4. Psychologische Unterstützung: Eine genetische Veranlagung für Übergewicht kann belastend sein. Hab keine Angst, dir professionelle Unterstützung durch Ernährungsberater:innen oder Therapeut:innen in Anspruch zu nehmen. Diese Fachleute können dir dabei helfen, realistische Ziele zu setzen und eine positive Einstellung zu deinem Körper zu entwickeln. 

Außerdem kann es dir helfen, dich über die Erkrankung zu informieren. Wir haben dir ebenso eine Übersicht zur ​​Adipositas mit wichtigen Infos zusammengestellt. 

Am Ende des Tages sind unsere Gene zwar ein Teil von uns, aber sie bestimmen nicht unser ganzes Leben. Genetische Veranlagungen können zwar Übergewicht beeinflussen und das Abnehmen schwieriger machen – aber sie sind nur einer von vielen Faktoren. Mit der richtigen Unterstützung, sei es durch eine gesunde Ernährung, mehr Bewegung oder durch Gespräche mit Expert:innen, kannst du Wege finden, dich besser zu fühlen und gesünder zu leben. Es ist wichtig, dich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen und kleine Erfolge zu schätzen. Veränderungen brauchen Zeit, und das ist völlig in Ordnung. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, dir selbst etwas Gutes zu tun – Schritt für Schritt.